Die Heiligkeit der Dinge

“Zwanzig pro Stück, nicht mehr” sagte meine Frau und sah sehr entschieden dabei aus. Sie ist gut im Verhandeln, ich bin sehr stolz auf sie. Der Verkäufer wandt sich. Natürlich waren die Schalen viel mehr wert: alte, tibetische Schalen aus Stein. Überzogen mit verschlungenen Mustern, grün glänzend, Ornamente den Boden bedeckend. Prachtstücke ohne Frage. Aber der Blick meiner Frau zeigte genau den richtigen Ton, höflich und bestimmt, ohne falsche Scheu und mit dem Selbstverständniß einer die schon gewonnen hat. Sichtlich zerknirscht tippte der Händler 35 in seinen Taschenrechner ein.

Wir standen auf einem Hügel unweit von Kharakorin, der alten versunkenen Stadt der Mongolei. Unser Urlaub war bislang sehr gut verlaufen. Zwar war die Busfahrt äußerst ruckelig - ich musste für uns beide ein nach vorne weisenden Sitzplatz regelrecht erkämpfen und der Kaffee war von äußerst schlechter Qualität, aber wir sahen die Mongolei aus Blickwinkel der Abenteurer, von unten! Außerdem hatten wir dank guter Vorbereitung alles Wichtige dabei (in der ganzen Mongolei findet sich kein vernünftiges Bettzeug, wie gut ein Seidenschlafsack sich da macht). Desweiteren hatten wir durch geschicktes Verhandeln beim Tourenveranstalter einen beachtlichen Preisvorteil herausschlagen können, das holländlische Pärchen, das mit uns reiste, war ganz neidisch als wir ihnen davon erzählten. Kurz und gut, wir waren sehr zufrieden mit unserem bisherigen Reiseverlauf. Wenn wir jetzt noch diese Schalen erstehen konnten, dann hätten wir auch unsere wertvollen kulturellen Erfahrungen materialisiert. Sie würden sich prima auf dem schwarzen Glas-Regal im Wohnzimmer machen, oder in der Küche, ganz sicher war ich mir noch nicht, welcher Ort der richtige dafür ist.

“Die Schalen stammen sicherlich von dem zerstörten Klostergelände. Ob er wohl weiß, was er da verkauft?” zischelte meine Frau mir zu und laut sagte sie: “Die sind dreckig, 25 Euro, das ist mein letztes Wort” und trat mir auf den Fuß. Das war das Zeichen, dass ich mich zum Gehen wenden sollte. Das machten wir immer so, damit setzt man die Händler unter Druck, es zieht immer, das habe ich von meinem Onkel gelernt, damals in Salzgitter auf dem Flohmarkt. “Ich glaube wir nehmen sie doch nicht” sagte ich so unbefangen wie möglich und stiefelte in Richtung unseres Touristencamps. Ich pfiff ein wenig und wirbelte mit dem Fuß ein bißchen Staub auf. “Stop Mister, Stop, Stop, 30 Euro, 30 Euro!” Auf einmal konnte er doch englisch reden, dachte ich im Insgeheimen und spürte das wir gewonnen hatten. “So geht” dachte ich mir, “von 50 Euro pro Stück runter auf 30 Euro”. Ich fühlte mich beschwingt. “25 not more, not from me” sagte ich, ein wenig von oben herab, das ist das was zieht, man darf sich nicht unter Wert verkaufen. “27 Euros” sagte der Händler und machte ein Zeichen, was wohl bedeuten sollte, das wars, mehr geht nicht. Meine Frau schlug ein. Bei 27 Euro! Da wär sicherlich noch was drin gewesen. Ich war doch gerade erst in Fahrt gekommen. Hätten wir 26 Euro gesagt, also nur ein Euro weniger, hätten wir zwei Euro gespart, davon hätte man in Ulan-Bator einen dieser guten Kaffees in dem italienischen Restaurant bekommen. Verärgert sah ich zu meiner Frau. Aber es half nichts. Ich zog meine Brieftasche und bezahlte. Und dann überreichte uns der Händler unsere Eroberung. Zum ersten mal hielten wir unseren Schatz in den Händen. Rote chinesisch anmutetende Zeichen zierten den Rand und den Boden, an manchen Stellen schimmerte es golden. Es waren Prachtwerke ohne gleichen. Ein bräunliches Patina überzog die Innenseite - sie waren sicherlich viele hundert Jahre alt. “Atemberaubend” murmelte meine Frau und auch ich war sichtlich bewegt. Ein Stück Geschichte in unseren Händen. „27 Euro, für solche Prachtwerke“. „Naja, 25 Euro hätten besser geklungen“ konnte ich mir nicht verkneifen. „Was?“ meine Frau schaute mich erbittert und fragend an„Naja, wärst du nicht bei 27 Euro schwach geworden hätten wir sie sicherlich für 25 Euro haben können, das wär eine Preisersparniß von 2 Euro pro Tasse macht 4 Euro und das sind 2 gute Kaffee in Ulan-Bator.“ Meine Frau sagte nochmal „Was“ und direkt hinterher „Wie bitte?“ und da wusste ich, dass die Zeichen schlecht standen. „Wenn - Du -Dich“ zischte sie und betonte dabei jedes Wort einzeln: „Wenn du dich zur richtigen Zeit, also zur RICHTIGEN Zeit abgewendetet hättest wären wir ohne Problem, also OHNE PROBLEME auf 20 Euro gekommen und wieviele Kaffee das sind, das kann ich gar nicht ausrechnen.“ „Nun laß uns doch nicht streiten, wir haben sie und das ist die Hauptsache und außerdem ist unser Gewinn immer noch sehr groß, wenn man bedenkt, wie viel sie in Wirklichkeit wert sind.“ Meine Frau drehte sich so schnippisch weg, wie nur sie es vermag, sagte soetwas wie „pfft“ und wandte sich zum gehen.

Die Holländer waren in der Tat verärgert und ganz sicher waren sie wütend auf sich selbst nicht zum Shoppingstand mitgekommen zu sein. Ein bißchen lamentierten sie und sagten soetwas wie „Kulurräuber”, aber sie waren nur neidisch, das hatte meine Frau, die etwas von Psychologie verstand genau herausgehört. Abends nach der Dusche lag ich im Bett und stellte mir schon mal gedanklich vor, an welche Stelle ich die Schalen stellen wollte. Rechts und links neben dem Fernseher, doch ich mir, oder doch in die Küche auf das schwarze Wandregal. Das hätte den Vorteil, dass sie von jedem Besucher bewundert werden konnten, ja mussten, denn es würde sehr edel aussehen. Ein bißchen ärgerte mich noch, dass ich unser Verkaufsspiel ein wenig vermasselt hatte. Hätte ich meine Rolle besser gespielt und mich früher zum Gehen gewandt, wären wir vielleicht tatsächlich auf 20 Euro runter gekommen. Eigentlich ist es nicht so wild, aber mir geht es da um das Prinzip. Mit dem Gedanken es das nächste Mal cleverer zu machen schlief ich ein. Und wären die Holländer nicht mitten in der Nacht von ihrem „Mondscheinspaziergang“ zurückgekommen hätte ich auch komplett durch schlafen können.

Am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass meine Frau sich mit einem Tablett zu mir ans Bett setzte. Noch im Halbschlaf bemerkte ich ihr offenes Haar, außerdem hatte sie sich geschminkt. „Na Liebling“ flüsterte sie mir zu „ich hab dir Frühstück machen lassen“. Zwei etwas verschrumpelte, aber doch erkennbare Croissants waren auf dem Tablett, dazu Butter und Import-Marmelade. Und daneben standen unsere neu erworbene Schalen mit dampfendem Kaffee. Ich war entsetzt. „Kaffee? In unsere guten Schalen? Bist du völlig von Sinnen? Kaffee verfärbt doch unsere Schalen vollkommen! Was machst du bloß?“ In panischer Eile überlegte ich wohin ich die Schalen ausschütten konnte, es gab keine andere Möglichkeit, hätte ich sie ausgeschüttet, wären unsere neuen North-Face Jacken oder Rucksäcke ruiniert worden, ich musste sie austrinken. Es brannte höllisch, als der heiße Kaffee meine Kehle hinunter lief. Vor allem der zweite tat weh. Meine Frau starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Mit Schmerz-verzerrtem Gesicht herrschte ich meine Frau an: „Kannst du nicht einmal nachdenken“. Ich hätte sicherlich noch viel mehr gesagt, wenn mein Mund nicht so geschmerzt hätte. In Unterhosen lief ich aus der Jurte hinaus um kaltes Wasser zu finden, meine Frau ängstlich hinterher. Viel später als wir die Croissants aßen, waren sie schon trocken.

Am Nachmittag fragte uns das holländische Pärchen, wie wir denn die Schalen nach Hause zu bringen gedächten. Schließlich stünden empfindliche Geld- und Freiheitsstrafen auf den Schmuggel von Kulturgütern. Ich erschrak. Auf diese gemeine Attacke war ich nicht vorbereitet gewesen. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Dreistigkeit, solche Art Leute einem den Sieg verderben wollen. Aber es stimmte, der Anruf beim Reisebüro bestätigte die Aussage und so verbrachten meine Frau und ich die letzten Tage in ständiger Anspannung, nerven-aufreibender Marterei und langen nächtlichen Diskussion über die Möglichkeitetn des Schmuggels. Eine Sendung mit der Post, eine Rückfahrt auf dem Landweg, ein Verstecken im Gepäck der Holländer. Als meine Frau am letzten Abend entschied, dass wir die Schalen in unserem Gepäck schmuggeln werden, waren wir beide in einem Zustand, der vollkommenen nervlichen Zerüttung. Die letzten Tage der Mongolei waren vollkommen an uns vorüber gegangen. Weder hatten wir die heißen Quellen genießen können, noch die traditionellen Tänze. Aber der Preis war es wert. Jedesmal wenn wir die Schalen aus der langen Unterhose auswickelten zog ein Strahlen über unsere Gesichter. Diese Schönheit, diese Farben, diese verschlungenen Ornamente. Es waren Prachtjuwelen. Überdies waren sie einzigartig, denn in keinem der Museen die wir gesehen hatten waren solche Schalen ausgestellt. Manchmal überfiel uns ein schlechtes Gewissen, weil es doch Kulturgüter waren, aber schließlich retteten wir die Schalen ja auch vor Grabräubern. Und letztendlich hatten wir die Schalen legal gekauft und die Spielregeln nach denen die Welt läuft sind zwar irgendwie unfair, aber wir hatten sie nicht gemacht, also trifft uns auch keine Schuld. Wenn wir sie nicht gekauft hätten, wären sicherlich irgendwelche reichen Chinese gekommen um sie kaufen und bei sich zu Hause wegzuschließen. Am Tag des Tages standen wir 2h früher auf und packten unsere Sachen, nach einem vorher genau festgelegten Muster, den Föhn, der auf dem Röntgenbild eventuell als Waffe angesehen könnte, in die andere Tasche, die Schalen zusammengestellt in den großen Trolley, daneben die Laptops als Ablenkung, die Kamera weiter nach Oben, als Zeichen, dass wir viel Geld besaßen und uns im Falle des Falles mit guten Anwälten zur Wehr setzen konnten. Abgepolstert hatten wir die Schüsseln mit unseren Seideninlets und der nagelneuen Merino-Unterwäsche, die wir vor der Fahrt noch spottbillig erstanden haben. Der Flug war trotzdem kein Vergnügen. Meine Frau hielt die Anspannung nicht aus und nahm zwei Tabletten Beruhigungsmittel anstatt einer. Ich blieb bei einer halben Tablette, den ich wollte im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte sein, falls unsere Tarnung auffliegen sollte. Der Flug verlief ruhig - bis auf die Tatsache, dass meine Frau wegen der Nebenwirkungen siebenmal aufs Klo gehen musste. Im Nachhinein hätte ich zu gerne gewusst, welche unserer Maßnahmen den Erfolg gebracht hatte. Meine Frau sagt, es war unsere ruhige und überlegte Art beim einchekcken, ich glaube dagegen es lag eher an den 20 Dollar, die ich in einem unbeobachteten Moment dem Mann von der Gepäckabfertigung übergab. Der schaute zu Anfang etwas fragend, aber als ich in Richtung des Koffers nickte, verstand er und nickte mir verschwörerisch zu. Ach, alle sind immer nur hinter dem Gelde her, es ist irgendwie traurig dachte ich mir im Stillen.

Als wir zu Hause ankamen war unsere erste Amtshandlung den Koffer zu öffnen und unseren Schatz noch einmal ausgiebig zu bewundern. „Unglaublich“ sagte meine Frau „ich möchte zu gerne wissen, wer daraus schon getrunken hat.“ „Sicherlich waren sie irgendein bedeutendes Teil einer Zeremonie“ meinte ich. Uns lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Der Hauch der Geschichte wehte uns an. „Ich finde wir stellen sie hier ins Küchenregal und einmal im Monat machen wir eine Räucherkerze an und trinken mongolischen Früchtetee, das ist dann die totale Entspannung.“ „Was sagte ich willst du unsere Schalen wieder kaputt machen, der Kaffee hat dir noch nicht gelangt?“ Mein Mund zog sich bei Erwähnung dieser unglückseligen Geschichte zusammen. Die Schalen halten die Hitze doch gar nicht aus. Wir stellen sie ins Wohnzimmer, da gibt es keine Verhandlung!“ Uns so stritten wir uns wieder. Als wir abends grummelnd nebeneinander im Bett lagen, meine meine Frau zu mir: „Sag mal, glaubst du, es ist ein Fluch auf den Schalen? Seit wir sie haben sind wir permanent am Streiten. Vielleicht merken die Schalen, dass sie geraubt sind?“ „Blödsinn“ sagte ich, war mir aber selber gar nicht mehr so sicher. Es stimmte, seit dem Erwerb der Kleinode, lief alles irgendwie schief. In der Nacht schlief ich schlecht. Ich träumte von riesengroßen Schalen, die auf mich zumarschierten. Meine Frau wollte mich retten und rief: „27 Euro, für jeden von euch“ und ich dachte nur, 25 Euro würden auch reichen. Im Hintergrund erklang die ganze Zeit ein höhnisches Lachen mit einem starken holländischen Akzent.

Am nächsten morgen setzte ich mich hin und schrieb einen Brief an den obersten Lama der Mongolei: „Very honorofully Lama“ ich schrieb auf englisch was mich einige Mühe kostete. „We are sorry. We smuggeld two vases, but we fell very guilty. Please put them back into your monastery. If you give them to a museum, please write: Found by a german couple. Yours sincercly.“ Meine Frau war sehr stolz auf mich und als wir die Schalen und den Brief an die mongolische Regierung sandten standen ihr fast ein paar Tränen in den Augen. „Die Holländer hätten das nie gemacht, nicht wahr?“ „Niemals“ bestätigte ich und nahm ihre Hand.

Abends versuchte ich mich seit längerer Zeit mal wieder an meinen berühmten Bratkartoffeln mit Lachs. Sie schmeckten längst nicht so gut wie in meiner Erinnerung, aber meine Frau drückte mir einen dicken Kuß auf die Lippen und wir verbrachten einen wunderschönen Abend wie schon seit langem nicht mehr. Neulich war ich im Baumarkt und direkt hinter den neuen Terra-cotta-Ziegeln aus Italien entdeckte ich eine Palette voll mit unsere Schalen. „Steinschalen - koreanischer Stil“ stand drauf. 4,99 Euro das Stück. Ich habe meiner Frau nichts davon gesagt.